09 April 2008

Filmbesprechung "Gegen die Wand" von Frauke Holländer

Gegen die Wand

Deutschland 2003

Regie und Buch: Fatih Akin

Darsteller: Birol Ünel (Cahit)

Sibel Kekilli (Sibel)

Catrin Striebeck (Maren)

Der 40-jährige Cahit türkischer Herkunft hat mit dem Leben abgeschlossen. Völlig betrunken fährt er mit voller Wucht gegen eine Betonwand. Er überlebt und findet sich mit Halskrause in einer Psychiatrie wieder. Der Arzt dort sagt ihm: „Sie können Ihrem Leben auch ein Ende setzen ohne sich umzubringen“.

Dieser ironische Appell, als Aufforderung, das Leben einfach anders zu leben als bisher, kann als Vorwegnahme der weiteren Filmhandlung gedeutet werden.

Cahit begegnet in der Anstalt der jungen und hübschen Türkin Sibil, die sich die Pulsadern aufgeschnitten hat, um ihrer traditionellen Familie zu entkommen, da sie ein Leben jenseits der Konventionen vorzieht, sich ausleben will. Da auch sie überlebt hat, sucht sie nach einer anderen Fluchtmöglichkeit: Sie schlägt Cahit vor, eine Scheinehe mit ihr einzugehen.

Cahit, der völlig heruntergekommen und vom Tod seiner Ehefrau niedergeschmettert, sein eigenes Leben kaum auf die Reihe bekommt, und seine Wut und Ohnmacht mit Alkohol bekämpft, lehnt dies ab, wird von Sibil jedoch durch eine erneute Selbstverletzung doch dazu gebracht einzuwilligen.

Die Hürden, den netten Anwärter und Schwiegersohn in spe zu spielen sind bald genommen, die beiden teilen sich eine Wohnung, sonst trennen sie jedoch Welten. Er schläft mit seiner Bekannten Maren, Sibil mit vielen verschiedenen Männern.

Allmählich verliebt sich Cahit in Sibil und im Affekt erschlägt er einen ihrer Liebhaber worauf hin sie das Land verlassen muss, sie geht zu ihrer Kusine nach Istanbul. Am Tiefpunkt der filmischen Handlung ist die stille und langsam gewachsene Liebesbeziehung der beiden am Höhepunkt angelangt. Beide verzehren sich vor Sehnsucht nach dem anderen. Nur Erfüllung gibt es keine.

Nachdem Cahit entlassen wurde, sucht er Sibil in Istanbul auf und schlägt ihr vor, mit ihm in seine Heimatstadt zu gehen, für immer.

So wuchtig die erste Selbstmordszene Cahits und der autoagressive Ausbruch Sibils, in dem sie sich einen abgebrochenen Flasche in den Arm rammt, so wuchtig ist die gesamte Sprache des Regisseurs. Mit viel Kraft wird die Geschichte erzählt, die sehr leise ist: die sich langsam entwickelnde Liebe der beiden, die Entwicklung ihrer Persönlichkeit aus den leidvollen Erfahrungen, ein wunderbares Zusammenspiel. Die deutsch-türkische Thematik von Identität, Assimilation, doppel-Identität schwingt am Rande immer mit und wird durch drei verschiedene Perspektivierungen gut eingefangen: der deutschen, der türkischen und der bi-nationalen.

Die folkloristische Musikgruppe, die ein türkisches Volkslied am Bosporus vor malerischer Stadtkulisse anstimmt, trennt den Film in einzelne thematische Sequenzen und stimmt inhaltlich auf die nächsten Filmereignisse ein.

Gleichwohl wird nicht nur das traditionelle Bild Istanbuls gezeigt und es wird kräftig mit Vorurteilen aufgeräumt.

Der Film selbst, der Fatih Akin den Goldenen Bären brachte, sorgte für Wirbel in der Türkei. Als Gegen die Wand in die türkischen Kinos kam, war der Film längst ein Begriff – weniger wegen des Goldenen Bären der Berlinale als wegen der Berichte über die Porno-Vergangenheit von Hauptdarstellerin Sibel Kekilli. Das sicherte dem Film gleich zum Start das Zuschauerinteresse. Doch der Besucherstrom hält an, obwohl der Skandal schon wieder vergessen ist. In den ersten beiden Wochen hat der Film rund 110000 Zuschauer ins Kino gezogen –für türkische Verhältnisse ein großer Erfolg. Gegen die Wand liegt damit auf Platz drei in den türkischen Kino-Charts, in Detuschland belegt er derzeit Platz acht.

Er kenne niemanden, der von Akins Liebes-Drama nicht begeistert wäre, so Ugur Vardan, Filmkritiker der liberalen Istanbuler Zeitung „Radikal“. Auch das Echo der eher konservativen Presse ist überraschend gut. Der Film spricht in der Türkei unterschiedliche Zuschauergruppen an. Hunderttausende kennen die Verhältnisse in Deutschland aus eigener Erfahrung und wissen, wie es sich anfühlt, zwischen zwei Kulturen zu stecken. „Deutschlinge nennen die Türken ihre Landsleute in der Bundesrepublik, die zwischen allen Stühlen sitzen.

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